Neu im Ensemble - Lev Semenov
23.Januar 2025„Neu am Haus“ – Interview der Dramaturgie mit unserem neuen Ensemblemitglied Lev Semenov
- Lieber Lev, herzlich willkommen in unserem Theater, danke, dass du unseren Lesern und Leserinnen des Blogs die Möglichkeit gibst, etwas mehr über dich zu erfahren. Du bist seit dieser Spielzeit 2024 / 25 neu im Ensemble, aber nicht neu in der Theaterwelt. Erzähl unserem Publikum bitte etwas über deine bisherigen Engagements. Aus welcher Stadt kommst du, wo hast du zuletzt gelebt und gespielt?
Aufgewachsen bin ich in München und hab’ dann Schauspiel in Hannover gespielt. Während des Studiums hab’ ich schon ein bisschen in die Theaterwelt reinschnuppern können, da hatte ich ein kleines Projekt in Braunschweig. Unsere Diplomarbeit haben wir dann am Deutschen Theater Göttingen gespielt und dann bin ich in mein Erstengagement nach Rostock, da war ich etwas mehr als 4 Jahre am Haus. Dann war ich ein Jahr frei und habe eine Fortbildung zum Synchronsprecher gemacht und jetzt bin ich hier.
- Gibt es einen schönsten oder schlimmsten Moment aus deiner bisherigen Theaterzeit, den du uns schildern möchtest? Eine lustige Anekdote vielleicht?
In einer meiner ersten Produktionen in Rostock – wir haben Michael Frayns „Nackten Wahnsinn“ gespielt – da hatten wir am Ende die Szene mit dem Telefon und es war super wichtig, dass die Kollegin das dabeihatte, sonst hätte die ganze Szene nicht gespielt werden können. Jedenfalls gingen wir gerade auf die Bühne, da flüstert sie mir zu: Du, ich habe das Telefon vergessen. Daraufhin ließ sie mich so für 40 Sekunden allein auf der Bühne stehen und ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich hatte keinen Text, ich hatte keine Handlung, die ich logischerweise vollführen konnte, das war ja gerade erst unser Auftritt, der Saal war relativ voll und die Kollegin war weg. Da habe ich dann einfach angefangen irgendwas zu singen, bis sie wiederkam, das war eine Übersprunghandlung.
- Warum bist du Schauspieler geworden?
Es war ein Kinderwunsch, der zunächst jedoch vorsah, zum Film zu kommen, weil ich als Kind natürlich, bevor ich ins Theater ging, eher Filme gesehen habe. Seitdem ich fünf gewesen bin, wollte ich so werden wie die da im Fernsehen. Das ist sehr lange mein Kindertraum geblieben. In der Grundschule habe ich schon ein bisschen Kindertheater gespielt. Dann hab’ ich den Traum etwas aus den Augen verloren. Dann war ich auf der Fachoberschule in München und die hatten eine Theatergruppe, da war ich 18 und dachte, okay, sprech` ich da mal vor. Ich wurde auch genommen und das hat mir sau gut gefallen. Da hab’ ich gemerkt, okay krass, ist ja unheimlich viel Arbeit, ich kann gar nichts (lacht). Theater war auch komplett anders, als ich mir Film vorgestellt hatte, aber jedenfalls hab’ ich da zum ersten Mal Blut geleckt, was die Theaterlandschaft angeht und entschieden, okay, ich will Schauspieler werden. Aber als Theaterschauspieler, nicht im Film. Theater bedeutet einfach ein komplett anderes Feeling. Hinter der Linse kriegt man ja nichts zurück.
- Eine schöne Überleitung zu meiner nächsten Frage. Was macht das Theater für dich aus und was sollte es leisten?
Ja, Theater ist halt live und das macht es ja auch aus. Es wird an einem Stück gespielt, dadurch kannst du sehr schön einen Bogen spielen. Das ist eine tolle Sache, beim Film muss man eine andere Fertigkeit haben, also in Häppchen spielen, und zwar in nicht logisch aufeinanderfolgenden Häppchen. Das ist im Theater anders, da kann man einen Bogen spielen, einen energetischen Bogen. Man ist mit Leuten da, das Publikum lügt nicht, es spiegelt einem direkt, ob es dein Spiel gut oder schlecht findet. Da findet also ein energetischer Austausch statt. Dieses unmittelbare Gespräch, was man mit dem Publikum hat, das macht für mich das Theater aus.
Und was das Theater leisten soll, also ... Ich finde, das Theater hat eine Berechtigung, solange es ein Ort bleibt, an den die Leute hingehen wollen, es ist für die Menschen gedacht.
- Warum bist du ans Theater Plauen-Zwickau gekommen?
Ich war im Bewerbungsprozess und habe die ZAV-Künstlervermittlung angerufen, die sagten mir, es wird gerade gesucht in Plauen-Zwickau. Also hab’ ich das durchgecheckt im Internet und was mir sehr, sehr positiv aufgefallen ist, am hiesigen Theater, war halt der Spielplan. Ich fand den Spielplan sehr ungewöhnlich, weil er keine Stücke enthielt, die schon 50 Prozent der anderen Theater spielen, sondern eben „Jelisaweta Bam“ von Daniil Charms oder „María Luisa“ von Juan Mayorga. Ich meine Mayorga ist ja in Deutschland nicht so bekannt, in Spanien aber sehr wohl und da hab’ ich mich gefreut und gedacht: In dem Haus macht man ja mal Stoffe, die nicht jedes Haus bringt und damit nicht nur Stoffe, bei denen es beim Publikum klingelt – Ach, das ist mal wieder der Schiller oder der Shakespeare oder die XY-Komödie, die wir schon kennen – Stattdessen wird was ausprobiert im Spielplan. Das fand ich gut.
- Du bist hier ja voll durchgestartet und musstest direkt als Wiederaufnahmen die Produktionen „Jelisaweta Bam“ und „Blues Brothers“ von deinem Vorgänger übernehmen. Wie hast du diesen Einstieg sowohl spielerisch als auch menschlich erlebt?
Den hab’ ich als sehr gut empfunden. Es ging ja relativ schnell los. Wir haben zuerst mit „Jelisaweta Bam“ angefangen, das war direkt eine „geile“ Arbeit mit dem Regisseur Carlos Manuel. Da wurde ich super aufgenommen von den Schauspielkolleg:innen und überhaupt dem ganzen Team. Da hab’ ich mich auf jeden Fall willkommen gefühlt. Dann kam ja bald darauf „Blues Brothers“, da hab’ ich noch mehr Kollegen und Kolleginnen kennengelernt und da war es auch super. Es war stressig, ein mega Ritt, aber gut. Dann kam die Vogtlandrevue, das war die erste Arbeit, die keine Wiederaufnahme war, die ich ganz proben durfte. Spätestens ab da hatte ich das Gefühl, ganz angekommen zu sein.
- „Blues Brothers“, „Vogtlandrevue“ und „Anatevka“ sind ja musikalische Produktionen. Hast du in deiner bisherigen Karriere eher mehr Schauspiel oder mehr Musical gemacht und was reizt dich am Musical?
Musical ist eine sehr neue Erfahrung für mich, das hatte ich Dirk Löschner auch gesagt. Dirk hatte mich angerufen, ob ich das übernehmen will, also „Blues Brothers“, und zwar nicht nur einen Auftritt, sondern die ganze Rolle des Jake Blues. Ich hab’ ihn um die Videoaufzeichnung der Premiere gebeten, ich wollte es mir erstmal anschauen. Dann hab’ ich richtig kalte Füße bekommen und Dirk geschrieben: Glaubst du, ich kann das? Und er meinte so, ja, Sebastian Undisz, unser musikalische Leiter, hat dich als musikalisch eingeschätzt. Dann dachte ich okay, man wächst ja an seinen Erfahrungen. Als Kind war ich auch musikalisch, da war ich im Tölzer Knabenchor, hatte aber seitdem nichts mehr mit Singen zu tun gehabt, außer in der Schauspielausbildung. Aber ich wusste, dass ich ein gewisses Grundverständnis mitbringe, also nicht der beste Sänger bin, aber man kann mit mir etwas erarbeiten. Und „Blues Brothers“ war dafür ein sehr schönes Positivbeispiel.
- Gibt es einen Text, den du gerne mal in Plauen-Zwickau inszeniert sehen würdest und welche Rolle würdest du dann spielen wollen?
Die Frage wurde mir letztens schon mal in einem Interview mit Patrick Bartsch zusammen gestellt und da hab ich gesagt, „Der Drache“, von Jewgeni Lwowitsch Schwarz. Aber dann meinte Patrick, er fände Tschechow so genial und da hab’ ich dann noch viel drüber nachgedacht, dass er doch eigentlich recht hat, warum nicht Tschechow. Vielleicht die Rolle des Lopachin in seinem „Kirschgarten“.
- Du probst ja aktuell das Musical „Anatevka“. Welche Rolle spielst du dabei und was können sich die Zuschauer:innen von der Produktion erhoffen?
Es ist vielleicht noch zu früh, um einzuschätzen, was sich das Publikum davon erhoffen kann, wir haben ja gerade erst mit den Proben angefangen. Aber es ist „Anatevka“ – ein wundervolles Musical mit viel Spielfreude, Spaß und Gesang, da ist der Name Programm. Ich spiele zwei Figuren, zum einen den Mendel, den Sohn des Rabbis. Das ist die Figur eines Besserwissers: ein Streber. Dann spiele ich noch den Fedja, das ist einer der Anwärter auf die Töchter von Tevje. Aber anders als Tevjes Familie ist Fedja halt nicht Jude. Das ist bezüglich der Heiratswünsche seiner Töchter also der dritte Kompromiss, den Tevje eingeht. Fedja ist für mich ein charmanter junger Mann, der eine Frau gut findet und sie ihn auch. Und so entwickelt sich da eine Liebesbeziehung. Die Produktion ist auch gewaltig mit Opernchor, Klezmer-Band, Statisterie und Gastdarsteller:innen.
Die Zusammenarbeit mit dem Opernchor ist sehr interessant, sie haben eine andere Spielweise als wir Schauspieler:innen. Außerdem wohnen wir ja in Plauen und sie in Zwickau, wir sind ja ein fusioniertes Haus. Man lernt den Opernchor also normalerweise nicht so gut kennen. Deshalb ist es schön, dazu jetzt auf den Proben die Möglichkeit zu haben, sich zu sehen und auszutauschen.
- Du hattest ja das Glück mit einer zweiten Muttersprache aufgewachsen, würde es dich reizen, in einer Inszenierung auch mal ein paar russische Sätze einzubauen?
Das ist eine gute Frage. Dafür muss mir die Regie wirklich einen sehr guten Grund erbringen, warum ich das machen sollte. Das mache ich nicht einfach so. Sowohl auf der Schauspielschule wie auch in anderen Engagements hab’ ich das schon erlebt, dass es hieß, sprich mal russisch auf der Bühne, weil du es kannst. Und es ist nicht mein persönlicher Geschmack, dass jemand irgendwelche Sprachen auf der Bühne reproduzieren sollte, nur weil die Person diese Sprachen spricht. Das finde ich zu wenig. Mich interessiert die Geschichte und deshalb muss es für so was wirklich einen guten, handlungsbasierten Grund geben. Wenn ich bei „Anatevka“ jetzt russisch sprechen würde, nur weil meine Rolle Fedja ein Russe ist, dann müssten konsequent die anderen Kolleg:innen, die russische Figuren spielen, auch russisch sprechen und dann würden wir wieder ein neues Fass aufmachen. Deshalb kommt das für mich nicht infrage. Also ist es besser, dass sich logisch konsequent alle auf Deutsch geeinigt haben, wir sind ja in einem künstlerischen Raum.
- Möchtest du unseren Leser*innen noch etwas mit auf den Weg geben?
Frohes neues Jahr!
Vielen Dank für das Gespräch, Lev!
Das Gespräch führte die Dramaturgin Luise Curtius am 7. Januar 2025.