Das Hamlet-Syndrom - unser Ringen um Haltung

Gastspiel des Ensembles "Die Zerstreuten"
Soll ich meiner Verantwortung in der Gesellschaft nachkommen oder meinen eigenen Interessen folgen? Hamlet steht vor diesem Dilemma, als der Geist seines ermordeten Vaters von ihm Rache fordert, doch eigentlich will der Prinz von Dänemark lieber unbeschwert in Wittenberg studieren und die Zeit mit seiner Geliebten Ophelia verbringen. Die Theatergruppe „Die Zerstreuten“ behandelt in „Das Hamlet-Syndrom – unser Ringen um Haltung“ Situationen, in denen keine Lösung richtig scheint.
Was hat Shakespeares Tragödie mit dem heutigen Alltag zu tun? Im „Hamlet-Syndrom“ fragen sich dies junge Schauspieler, stehen also erst einmal vor der Frage „Spielen oder Nichtspielen?“ Reihum schlüpfen sie in die Rollen, jede und jeder ist mal Hamlet. Dabei erkennen sie, dass sie auch viele Dilemmas aushalten: Wurst oder Vegi? Shoppen oder Klassiker lesen? So hangeln sie sich an den Motiven des wohl berühmtesten Stücks der Welt entlang und kommen zum Schluss, dass Ambivalenz damals wie heute nie ganz aufzulösen ist: „Der Prozess ist der neue Gott!“
Multimedial, postdramatisch – und unterhaltsam
„Das Hamlet-Syndrom“ verarbeitet sowohl die klassische Vorlage als auch die „Hamletmaschine“ Heiner Müllers. Live-Zeichnungen von Tom Mairs untermalen auf einer großen Leinwand die Szenen. Christine Wünsch am Saxofon und Biko de Sousa am Schlagzeug. So ist das etwa 70-minütige Stück abwechslungsreich und kurzweilig. „Die klassischen Hamlet-Übersetzungen sind sperrig“, beklagt Autor und Regisseur Jens Vilela Neumann. „Wir zeigen auf der Bühne, wie sich junge Menschen mit Shakespeares Stück auseinandersetzen und seine Aktualität in ihren Worten entdecken.“
 
Auch die vierte Inszenierung der „Zerstreuten“ verarbeitet die persönlichen Erfahrungen der Darsteller: Wünsch, Marcy Francisco, Ahmad Alasi, Maike Sietas, Odilie Kennerknecht und Emilia Kandeler haben unterschiedliche Hautfarben und sind auf vier Kontinenten geboren. Schon das Ensemble stellt so die Privilegien in Frage, die der männliche, weiße und nach der Vorlage gut genährte Prinz genießt. Während dieser aus seiner Heimat verschifft wird, um ermordet zu werden, mussten einige der Darstellenden ihre Heimat verlassen, um Krieg, Leid und Repression zu entkommen. Und wie Hamlet sind jüngst Ukrainerinnen und Ukrainer aus ihrer Privatheit gerissen und müssen entscheiden: kämpfen, fügen oder fliehen. Am Ende stellt der Kanadier Tom Mairs auch das Publikum vor eine Frage: „Applause or not applause: This is your question now.“
 
„Die Zerstreuten“ zeigen ihre Sicht auf aktuelle Themen
Die interkulturelle Laientheatergruppe probt in unterschiedlicher Besetzung seit 2018 in Berlin-Köpenick. Gründer Vilela Neumann geht von den Erfahrungen und Begabungen der Mitglieder aus und behandelt in einem postdramatischen Theater Themen des Zeitgeists wie Resilienz, Rassismus oder die Klimakatastrophe. Ausschnitte aus den vorangegangenen Theaterstücken sind hier zu sehen: http://paradisegardenproductions.com/project/zum-guten-menschen.


 

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Besetzung

Text & Regie Jens Vilela Neumann
Spiel Vasin Öztürk, Emilia Kandeler, Odilie Kennerknecht, Yousef Masri, Maike Sietas, Christine Wünsch, Ahmad Alasi
Livezeichnung & Bühne & Kostüm Tom Mairs
Musik Biko De Sousa, Christine Wünsch
 

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